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Nachträgliche Sicherungsverwahrung nur bei neu bekannt gewordenen Tatsachen möglich

Der Verurteilung aus dem Jahre 1995 – so genannte Anlassverurteilung auf Grund derer die Staatsanwaltschaft die nachträgliche Sicherungsverwahrung beantragte – lag ein schweres Sexualverbrechen zu Grunde. Der Verurteilte missbrauchte während einer Nacht im April 1994

zwei vierzehn und fünfzehn Jahre alte Anhalterinnen in seinem speziell hierfür präpariertem VW-Bus. Die Tat hatte der Verurteilte zuvor genau geplant. Über mehrere Stunden hinweg vergewaltigte er die Opfer unter Beifügung von besonders entwürdigenden und schmerzhaften Verletzungen. Er versetze sie unter Bedrohung mit einer Pistole in Todesangst, verklebte zudem deren Mund und fesselte sie.

Bei der Anlassverurteilung 1995 war die Anordnung der (primären) Sicherungsverwahrung gem. § 66 [1]StGB aus Rechtsgründen nicht möglich. Die vom Gesetz nach § 66 StGB geforderten Vorverurteilungen – so genannte formelle Voraussetzungen – lagen nicht vor.

Die Strafkammer, die 1995 zu entscheiden hatte, sah zudem auch die materiellen Voraussetzungen für die primäre Sicherungsverwahrung nicht als gegeben an. Entsprechend der Empfehlung des damals gehörten Sachverständigen verneinte sie einen Hang (§ 66 I Nr. 3 StGB) des Verurteilten zu erheblichen Straftaten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden, wodurch er für die Allgemeinheit hätte gefährlich werden können.

Entscheidung des LG München II

Die Strafkammer, die nunmehr über die nachträgliche Sicherungsverwahrung nach § 66 b [2] StGB zu entscheiden hatte, stellte – wiederum sachverständig beraten – freilich nunmehr doch einen Hang fest. Sie kam zu dem Ergebnis, dass vom Verurteilten sehr wohl erhebliche Sexualstraftaten zu erwarten sind. Deshalb sei er für die Allgemeinheit gefährlich. Diese – von der Anlassverurteilung abweichende – Beurteilung des Hanges und der Gefährlichkeit beruht freilich allein auf einer Neubewertung der bereits damals bekannten Umstände der Tat und der Persönlichkeit des Verurteilten.

Entscheidung des BGH

Rechtsgrundlage für die nachträgliche Sicherungsverwahrung konnte hier nur § 66 b II StGB sein. Liegt ein Hang vor, so kann die Maßregel u. a. dann angeordnet werden, wenn der Verurteilte bei der Anlassverurteilung wegen eines Sexualverbrechens zu einer Freiheitsstrafe von mindestens fünf Jahren verurteilt wurde. Diese (formelle) Voraussetzung war hier gegeben. Das Gesetz stellt allerdings noch eine zusätzliche Voraussetzung auf, die hier fehlt: Es müssen vor Ende des Vollzugs der Freiheitsstrafe Tatsachen – das müssen neue Tatsachen sein – für die Gefährlichkeit des Verurteilten erkennbar werden.

Tatsachen sind dann nicht „neu“, wenn sie bereits bei der Anlassverurteilung erkennbar oder – wie hier – sogar schon bekannt waren. Nach der Rechtsprechung des BGH und des BVerfG sind Tatsachen insb. dann nicht „neu“, wenn der Hang und die Gefährlichkeit auf Grund bereits damals bekannter und unverändert gebliebener Tatsachen lediglich anders bewertet werden. Das ist hier der Fall. Deshalb muss die auf gleicher Tatsachengrundlage bloß veränderte Bewertung von Hang und Gefährlichkeit als neue Tatsache ausscheiden. Andere „neu“ bekannt gewordene Tatsachen, insb. während des Strafvollzugs, auf welche die Gefährlichkeit gestützt werden könnte, hat das LG nicht festgestellt.

Damit waren die vom Gesetz geforderten Voraussetzungen für die nachträgliche Sicherungsverwahrung nicht gegeben. (BGH, Urt. v. 13. 1. 2010 – 1 StR 372/09)

Pressemitteilung des BGH Nr. 7 v. 13. 1. 2010
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Spiegelberg
Rechtsanwalt, Fachanwalt für Bank- und Kapitalmarktrecht
Rostock