In einem Urteil vom 11.2.2003, Az: XI ZR 214/01 , hat der BGH dargelegt, unter welchen Voraussetzungen eine durch die gering verdienende Ehegattin übernommene Bürgschaft für einen Betriebskredit Ihres Ehemannes sittenwidrig ist.
Sachverhalt
Der Ehemann der Beklagten – Inhaber eines Schmuckhandelsgeschäfts – war Schuldner mehrerer von der klagenden Bank ausgereichter Betriebsmittelkredite, darunter zwei Darlehen über 50.000 DM und 240.000 DM mit Zinssätzen von ursprünglich 10,25% sowie 7,75% p.a..Für beide Kredite übernahm die Beklagte am 3. Januar 1998 eine selbstschuldnerische Höchstbetragsbürgschaft über 320.000 DM. Ferner dienten die Geschäftseinrichtung und das Warenlager des Gewerbebetriebes ihres Ehemannes sowie dessen Forderungen aus zwei Lebensversicherungen der Klägerin als Sicherheit.
Anfang 1999 gründete die Beklagte die A. Schmuckhandels GmbH und leitete in der Folgezeit das Unternehmen in den Geschäftsräumen ihres nicht mehr als Einzelkaufmann tätigen Ehemannes. Am 5. März 1999 kündigte die Klägerin die mit ihm bestehende Geschäftsverbindung wegen Verschlechterung der Vermögenslage und Aufgabe seines Unternehmens fristlos und stellte die Kredite fällig. Nach Verwertung der anderweitigen Sicherheiten geht sie gegen die Beklagte aus dem Bürgschaftsvertrag vom 3. Januar 1998 vor.
Die Beklagte hält die Bürgschaft wegen krasser finanzieller Überforderung für sittenwidrig. Bei Abgabe der Bürgschaftserklärung habe sie als Aushilfsverkäuferin im Schmuckhandelsgeschäft ihres Ehemannes ein monatliches Nettogehalt von 466,36 DM erzielt und über kein eigenes Vermögen verfügt.
Entscheidungsgründe:
Der Bürgschaftsvertrag der Parteien verstößt gegen die guten Sitten und ist infolgedessen nichtig.
Die Wirksamkeit der Bürgschafts- oder Mithaftungsverträge hängt entscheidend vom Grad des Mißverhältnisses zwischen dem Verpflichtungsumfang und der finanziellen Leistungsfähigkeit des dem Hauptschuldner persönlich nahe stehenden Bürgen oder Mitverpflichteten ab.
Die Betroffene ist hier voraussichtlich nicht in der Lage, zumindest die von den Darlehensvertragsparteien festgelegte Zinslast aus dem pfändbaren Teil seines Einkommens oder Vermögens dauerhaft zu tragen. In einem solchen Falle krasser finanzieller Überforderung ist aber widerleglich zu vermuten, daß die ruinöse Bürgschaft oder Mithaftung allein aus emotionaler Verbundenheit mit dem Hauptschuldner übernommen wurde und der Kreditgeber dies in sittlich anstößiger Weise ausgenutzt hat.
Das monatliche Bruttogehalt der Beklagten betrug nur rund 800 DM betrug und eigenes nennenswertes Vermögen war nicht vorhanden.Unter normalen Umständen auch nicht mit einer wesentlichen und nachhaltigen Verbesserung des finanziellen Leistungsvermögens zu rechnen.Von der Klägerin ist aber nichts dafür vorgetragen, daß die Beklagte in ihrem erlernten Beruf als Arzthelferin oder aber als Verkäuferin unter normalen Umständen so viel verdienen konnte, daß sie die Zinsen von fast 2000 DM aus den verbürgten Darlehen allein aufbringen konnte. Dazu hätte sie im Monat ca. 4000 DM netto verdienen müssen, was unmöglich sei.
Daß sie Anfang 1999 die A. Schmuckhandels GmbH gegründet und im November desselben Jahres als deren Geschäftsführerin-Gesellschafterin 2.557,66 DM netto verdient hat, rechtfertigt keine andere rechtliche Betrachtung. Nichts spricht dafür, daß die Beteiligten mit einer solchen ungewöhnlichen Entwicklung ernsthaft gerechnet und diese zum Gegenstand der Vertragsverhandlungen gemacht haben.
Es sei auch ohne echte Bedeutung, dass das Schmuckhandelsgeschäft des Ehemanns der Beklagten bei Abschluß des Bürgschaftsvertrages die Existenzgrundlage der ganzen Familie bildete. Der Erwerb eines bloßen mittelbaren geldwerten Vorteils aus der Aufnahme des verbürgten Darlehens wiegt das besonders große Bürgschaftsrisiko nicht auf.
Das mit der Bürgschaft verbundene Interesse des Gläubigers, sich vor Vermögensverschiebungen zwischen Eheleuten zu schützen, schließt die Sittenwidrigkeit nicht aus.
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Spiegelberg
Rechtsanwalt