Wie viel Strom kann Deutschland aus dem Ausland eigentlich importieren?

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Insbesondere im vergangenen Winter ´22/´23 in Verbindung mit der Abschaltung der letzten 3 Atomkraftwerke im März 2023 in Deutschland stellte sich bei vielen Menschen die Frage der Stromknappheit, welche in der Regel damit erstickt wurde, dass man behauptete, fehlende Strommengen könnten problemlos aus dem Ausland importiert werden. Ist es allerdings so einfach und wie hoch sind die Mengen, die tatsächlich aus den einzelnen Nachbarstaaten ins deutsche Netz geliefert werden können?

Grundsätzlich sind die Länder der Europäischen Union in Verbundsystemen gekoppelt. Aufgrund seiner geographischen Lage fungiert Deutschland hier als eine Art Drehscheibe für den Stromhandel und für die Stromdurchleitungen.

Die Übertragung des Stroms zwischen den einzelnen Gebotszonen, also bspw. zwischen Deutschland und Frankreich, erfolgen an den sogenannten Grenzkuppelstellen. Diese sind quasi die Grenzübergänge zwischen den Stromnetzen in diesen Zonen. Ihre Kapazität entscheidet, in welchen Größenordnungen Strom aus den Nachbarländern in das deutsche Netz importiert bzw. vom deutschen Netz in das Nachbarnetz exportiert und somit gehandelt werden kann. Es wird versucht, die Bewirtschaftung dieser Grenzkuppelstellen so zu regulieren, um den Strommarkt weiter zu liberalisieren, die Versorgungssicherheit zu erhöhen und dies durch eine Intensivierung grenzüberschreitender Stromflüsse sicherzustellen.

Neben Deutschland zählt Frankreich in der EU zum größten Netto-Stromexporteur, also über das gesamte Jahr gesehen. Die Stromerzeugungsmengen in beiden Ländern schwanken jedoch in Abhängigkeit von Jahreszeiten zum Teil erheblich ( Abschaltung von Atomkraftwerken in Frankreich bei Niedrigwasser in den Flüssen, erhebliches Aufkommen von Strom aus erneuerbaren Energiequellen bei sonnigen und  windigen Tagen in Deutschland ). Können diese Strommengen im eigenen Netz nicht verbraucht werden, müssen entweder Erzeugungsanlagen abgeschaltet werden oder der überschüssige Strom zur Aufrechterhaltung der Netzfrequenz (50 Hz) in andere Gebotszonen der EU mit leichter abschaltbaren großvolumigen Stromerzeugungsanlagen (Gaskraftwerke, Kohlekraftwerke, Atomkraftwerke) hin geleitet, sprich exportiert werden.

Deutschland hat einen Strombedarf von tagsüber zwischen ca. 50 und 60 GW (50.000-60.000 MW) und nachts zwischen 35-45 GW. Dabei muss zu jeder Sekunde die tatsächlich benötigte Menge an Strom im Netz vorhanden sein. Denn – entgegen der Darstellung von bildungsfreien Spitzenpolitikern – kann Strom im Netz nicht gespeichert werden. Dabei sind insbesondere die sogenannten regenerativen Energien problematisch, denn die Stromlieferung aus Windkraftanlagen und Fotovoltaikanlagen schwanken über den Tag häufig sehr stark, bspw. wenn sonniges aber gleichzeitig bewölkes Wetter ist.

Um die Netzstabilität von 50 Hz aufrechtzuerhalten, sind daher Regelungseingriffe erforderlich, sogenannte Redispatch – Maßnahmen. Mit diesen Maßnahmen wird verhindert, dass die Netzfrequenz über 50,15 Hz bzw. unter 49,85 Hz steigt bzw. sinkt. Denn nahezu alle elektrischen Geräte sind auf diese stabile Netzfrequenz angewiesen und würden anderenfalls zerstört.

Wird daher im deutschen Netz zu viel Energie produziert und eingespeist, besteht die Möglichkeit, an Nachbarländer Strom abzugeben, sofern diese entsprechende Mangellagen haben oder Anlagen leichter abschalten können. In diesem Zusammenhang spielt der europäische Strommarkt und die Strombörse eine mitentscheidende Rolle, darauf wird jedoch in diesem Beitrag nicht eingegangen.

Deutschland Stromnetz ist derzeit mit dem Stromnetz von 10 anderen EU-Länder verbunden. Dabei liegen 8 dieser 10 EU-Länder direkt an den Außengrenzen Deutschlands. Die Stromnetze in Schweden und Norwegen, zu denen Deutschland keine direkte Grenze hat, werden mittels Seekabel erreicht.

In der Regel bestehen die Grenzkuppelstellen aus Leitungen des Übertragungsnetzes, d. h. mit einer Kapazität von 380 bis 400 KV (Höchstspannungsnetz).  Die Seekabel sind kleiner dimensioniert und regional gibt es – neben den Übertragungsleitungen im Höchstspannungsnetz – einige 220 KV Leitungen (z.B. nach Dänemark und nach Frankreich).

Folgende Gesamt-Strommengen können in die Nachbarländer über diese Grenzkuppelstellen mit den Nachbarstaaten entweder importiert bzw. exportiert werden:

(Zahlenangaben in Megawatt MW)
Nachbarstaat Importmenge Exportmenge  
Frankreich 5298 6102  
Belgien 922 922  
 Österreich 4945 4987  
Schweiz 3628 1346  
Tschechien 1375 1054  
Polen  1376 1054  
Dänemark 2644 2931  
Niederlande 4110 3205  
Schweden 548 462  
Norwegen 668 1134  
       
Gesamt: 25.514 23.197  

Die Zahlen geben die möglichen Liefermengen im Jahr 2021 wieder und beziehen sich auf Daten der Bundesnetzagentur im Zeitpunkt der Erstellung dieses Beitrages im Oktober 2023. Die tatsächlichen, aktuellen Mengen können aufgrund von Netzausbaumaßnahmen oder Leistungssteigerungen in den letzten Monaten abweichen.

Zusammengerechnet wäre Deutschland somit – theoretisch – in der Lage, knapp die Hälfte seines Stroms durch den Export aus allen an das Stromnetz angeschlossenen Ländern zu erhalten. Dies gilt natürlich nur dann, wenn diese selber über die entsprechenden freien und somit handelbaren Mengen verfügen. Dies ist – zumindest in der Vergangenheit – selten der Fall gewesen.

Denn grundsätzlich plant jeder Staat sein Stromnetz und seine Erzeugungskapazitäten anhand der eigenen Verbrauchswerte. Die Schaffung von zusätzlichen, grundsätzlich nicht benötigten Kapazitäten führt zu Bau- und Betriebskosten und verteuert somit den Strompreis.
Es ist zudem eine kindliche Illusion anzunehmen, ganz Europa und insbesondere Deutschland mit seinen energieintensiven Industrien (noch !!) könne mit erneuerbaren Energien versorgt werden – frei nach dem beliebten Motto “… irgendwo weht der Wind ja immer…..” . Der dafür erforderliche Netzausbau würde zum Einen viele Jahrzehnte dauern (von der Verfügbarkeit der erforderlichen Rohstoffe einmal ganz abgesehen) und selbst bei Dunkelheit oder Windstille keine sichere und netzstabile Energieversorgung sichern.
Das bedeutet, egal wie viel erneuerbare Energien gebaut werden, man braucht stets kommerzielle Kraftwerke, die für die Zeiten zur Verfügung stehen, wo kein Wind weht und keine solare Strahlung vorhanden ist.

Das Hoffen auf die Stromversorgung aus Nachbarländern ist auch riskant. Denn Frankreich mit seinem überalterten Atom-Kraftwerkspark ist in Krisenzeiten ebenfalls nicht in der Lage, Strom zu liefern, sondern benötigt dann selber Importstrom. Denn zeitweise waren von 56 Atomreaktoren die Hälfte aufgrund von Niedrigwasser oder Reparaturarbeiten gar nicht lieferfähig.

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Holger Spiegelberg, Rechtsanwalt
Energierecht
Fachanwalt für Bank- und Kapitalmarktrecht

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Stand 9/2023

 

 

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