Bürgschaft des Arbeitnehmers für Kredit seines Arbeitgebers ist sittenwidrig, wenn der AN krass überfordert und der AG in Not ist

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Die Entscheidung des BGH vom 14.Oktober 2002, Az: XI ZR 121/02, beschäftigt sich mit der Frage, unter welchen Voraussetzungen die Bürgschaft eines Arbeitnehmers mit mäßigem Einkommen aus Sorge um den Erhalt seines Arbeitsplatzes für einen Bankkredit des Arbeitgebers sittenwidrig ist.


Sachverhalt

Der Beklagte war seit dem 1. Januar 1991 bei einer neu gegründeten Bau GmbH als Bauleiter angestellt. Sein monatliches Nettoeinkommen betrug ab 1. Mai 1991 2.222,70 DM. An seine Tochter zahlte er monatlich 365 DM Unterhalt. Die GmbH geriet dann in wirtschaftliche Probleme. Der GF verhandelte mit der klagenden Sparkasse über die Gewährung eines kurzfristigen Kontokorrentkredits von 200.000 DM. Die Klägerin war dazu bereit, verlangte aber Sicherheiten. In der Folge übernahmen der Beklagte und zwei andere Arbeitnehmer am 6. Januar 1992 je eine selbstschuldnerische Bürgschaft mit weiter Sicherungszweckerklärung bis zum Höchstbetrag von 200.000 DM. Die formularmäßige Bürgschaft umfaßt nach ihrer Nr. 2 die auf die Bürgschaftssumme entfallenden Zinsen, Provisionen und Kosten auch dann, wenn dadurch der Höchstbetrag überschritten wird.

Kurze Zeit später gab die H. GmbH das von ihr betriebene Baugeschäft auf und stellte im April 1992 einen Antrag auf Eröffnung des Gesamtvollstreckungsverfahrens, der mangels Masse abgelehnt wurde. Am 5. Mai 1992 kündigte die Klägerin das Darlehen, für das sie 17% Zinsen berechnete, fristlos. Nach ihrer Darstellung betrugen die Verbindlichkeiten der Hauptschuldnerin zu diesem Zeitpunkt 121.831,92 DM. Die Klägerin nimmt den Beklagten aus dem Bürgschaftsvertrag auf Zahlung eines Teilbetrages von 70.000 DM zuzüglich Zinsen in Anspruch.
Der Beklagte, der nach eigenen Angaben über kein Vermögen verfügt, erachtet die Bürgschaft wegen krasser finanzieller Überforderung und anderer Umstände für sittenwidrig. Die Bürgschaft habe er allein aus Sorge um den Erhalt seines Arbeitsplatzes bei der Hauptschuldnerin übernommen. Außerdem sei er durch schönende Angaben der Klägerin, die die Bürgschaft als bloße Formsache verharmlost habe, über die wirtschaftlichen Verhältnisse sowie die Ertragsaussichten der sanierungsbedürftigen Hauptschuldnerin getäuscht worden.

Entscheidungsgründe:
Der Bürgschaftsvertrag über 200.000 DM ist wegen Verstoßes gegen die guten Sitten gemäß § 138 Abs. 1 BGB nichtig.
Die Höchstbetragsbürgschaft über 200.000 DM überfordere den Beklagten finanziell in krasser Weise. Eine solche Überforderung des Bürgen oder Mitverpflichteten liegt bei nicht ganz geringen Bankschulden grundsätzlich vor, wenn er voraussichtlich nicht einmal die von den Darlehensvertragsparteien festgelegte Zinslast aus dem pfändbaren Teil seines Einkommens und Vermögens bei Eintritt des Sicherungsfalls dauerhaft tragen kann. Bei der Beurteilung der Sittenwidrigkeit ist grundsätzlich auf den Zeitpunkt des Vertragsabschlusses abzustellen.
Der unter Berücksichtigung seiner Unterhaltspflicht pfändbare Teil seines Einkommens von 2220 DM von 564 DM reichte bei weitem nicht aus, die von der Klägerin berechneten
laufenden Zinsen des verbürgten Geschäftskredits von 17% bis zum Vertragsende allein zu tragen. Hinzu kommt, daß sein Gehalt von dem finanziellen Leistungsvermögen der Hauptschuldnerin abhängig und davon auszugehen war, daß sie bei Eintritt des Sicherungsfalles entweder zahlungsunfähig oder überschuldet sein würde.

Zwischen einem Arbeitgeber und einem Arbeitnehmer besteht in aller Regel kein von Emotionen geprägtes, einer Ehe, einer eheähnlichen Partnerschaft oder einer engen Verwandtschaft oder Freundschaft vergleichbares persönliches Näheverhältnis. Das gilt besonders, wenn der Arbeitnehmer – wie hier der Beklagte – einer von etwa 20 und bei Übernahme der Bürgschaft für den Arbeitgeber erst seit etwa einem Jahr tätig war. Bei einem Arbeitsverhältnis stehen nicht Emotionen, die die Fähigkeit zu rationalem Handeln erheblich beeinträchtigen, sondern die beiderseitigen,
häufig gegensätzlichen Interessen der Arbeitsvertragsparteien im Vordergrund. Besondere Umstände, die hier eine andere Beurteilung nahelegen könnten, sind nicht ersichtlich.

Es liegen jeoch hinreichende Umstände vor, die den Beklagten an einer freien und eigenverantwortlichen Entscheidung hinderten und von der Sparkasse  in sittlich anstößiger Weise
ausgenutzt wurden.
Die ruinöse Bürgschaft des Beklagten war eine Arbeitnehmerbürgschaft für Bankverbindlichkeiten der finanzschwachen Arbeitgeberin. Deren Liquiditätsschwierigkeiten waren so groß, dass trotz des gewährten Kredits das Gesamtvollstreckungsverfahren eingeleitet wurde. Der Beklagte stand damit bei Übernahme der Bürgschaft vor der Alternative, entweder dem über die Arbeitgeberin
an ihn herangetragenen Sicherungsbegehren der Klägerin zusammen mit zwei anderen Arbeitskollegen nachzugeben oder den sofortigen Verlust seines Arbeitsplatzes in Kauf zu nehmen.
Ein unmittelbares eigenes wirtschaftliches Interesse an der Gewährung des verbürgten Kredits hatte der nicht am Gewinn und der GmbH selbst beteiligte Beklagte für die Klägerin erkennbar
nicht.
Durch die Übernahme der Bürgschaft über 200.000 DM wurde der Beklagte, der mit 2.222,70 DM monatlich nur über ein mäßiges Nettoeinkommen verfügte, ohne Gewinnbeteiligung und ohne irgendeine Gegenleistung in einem Umfang mit dem wirtschaftlichen Risiko der Arbeitgeberin und dem Kreditrisiko belastet, der geeignet war, ihn für den Rest seines Lebens wirtschaftlich zu ruinieren. Wenn der Beklagte die ihn kraß überfordernde Bürgschaft dennoch übernahm, so geschah dies allein aus Angst um seinen Arbeitsplatz  und den Verlust seines Einkommens.

Hinzu kommt, dass der formularmäßige Bürgschaftsvertrag mehrere den Bürgen unangemessen belastende Klauseln enthält. Die weite Sicherungszweckerklärung, die die Bürgschaft auf alle bestehenden und künftigen Forderungen der Klägerin gegen die Hauptschuldnerin aus der bankmäßigen Geschäftsverbindung erweitert, verstößt gegen §§ 3 und 9 AGBG.
Die vorgesehene Erstreckung der Höchstbetragsbürgschaft auf Nebenforderungen über den Höchstbetrag hinaus ist zudem mit § 9 AGBG unvereinbar.

 

 

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Spiegelberg

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